Maria Husemann

1892 - 1975


geboren am 1. November 1892 in Wuppertal
gestorben am 12. Dezember 1975 in Wuppertal

„Was ich erlebt habe, darf nie mehr vorkommen. Wir müssen alles tun, dass Unrecht und Unterdrückung nicht mehr zur Herrschaft kommen.“

Mut zum Widerstand und zur Nächstenliebe


Nach Verhaftung des Wuppertaler Caritasleiters und Priesters Hans Carls durch das NS-Regime führte Maria Husemann seine Arbeit unter Einsatz ihres Lebens fort. Sie nutzte die Räumlichkeiten der Erzbischöflichen St.-Anna-Schule, um dort Schriften und Predigten gegen den NS-Terror zu vervielfältigen und zu verbreiten und vielen jüdischen Mitbürgern zu helfen. Aufgrund ihres unerschrockenen Einsatzes wurde sie selbst am 22. Dezember 1943 von der Gestapo verhaftet. Schicksalshaft überlebte sie ihre Verschleppung in ein Konzentrationslager, weil sie sich für andere einsetzte.


Maria Husemanns Erlebnisse in ihrem „Widerstandskampf gegen die Verbrechen der Hitler-Diktatur“ wurden von Pfarrer Karl Sommer 1964 zusammengefasst und 1983 herausgegeben vom Stadtdekanat Wuppertal und Katholikenrat Wuppertal. Ihre autobiographischen Kommentare sind daraus entnommen.

1925 Mit abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung beginnt Maria Husemann im Alter von 33 Jahren hauptamtlich ihren Dienst als Sekretärin bei der katholischen Hilfsorganisation Caritas in Wuppertal. Das Büro befand sich innerhalb des Gebäudes der St.-Anna-Schule, dem heutigen Schulraum 7.19. Rasch wird Maria Husemann die persönliche Referentin des Caritas-Direktors Hans Carls. Der engagierte Priester befugte sie, viele Entscheidungen eigenständig zu treffen. Sie konzipierte die Jugendfürsorge, Strafentlassungsfürsorge, Wanderfürsorge, den Mädchenschutz, die Bahnhofsmission, die Erholung für Kinder und Mütter.

1935 Mit den „Nürnberger Rassegesetzen“ verankern die Nationalsozialisten juristisch ihre antisemitische Hetze. Viele jüdische Menschen wenden sich Hilfe suchend an die Caritas.

Maria Husemann besorgt ihnen, so lange es geht, Papiere zur Ausreise und sorgt für ihre vorübergehende Unterbringung. In der Aula der Schule stapeln sich Möbel von ausreisewilligen Juden. Sie hoffen, sie später abholen zu könnten. Maria Husemann kauft und bezahlt Lebensmittel für die unter der Gesetzgebung in Not geratenen jüdischen Familien und bringt sie zu ihnen in die Wohnungen.

Sie vervielfältigt und verbreitet regimekritische Schriften und Predigten. Durch die Soldatenbetreuung der katholischen Jugend finden diese Abschriften den Weg bis zu den Frontsoldaten.

Maria Husemann besucht regelmäßig Hans Carls, der wegen seiner kritischen Predigten 1941 verhaftet wurde und von 1942-1945 im Konzentrationslager Dachau einsitzt. Unter Einsatz ihres Lebens schmuggelt Maria Husemann seine Berichte über die unvorstellbaren Grausamkeiten und Zustände im Konzentrationslager heraus. Ein unheilvolles Missgeschick bei einer Übergabe dieser Dokumente führt zu ihrer Verhaftung.

1943 „Sie sind verhaftet, Fräulein Husemann!“ Mit diesen Worten trat der Gestapomann Manfeld auf mich zu. (S.12). Am 22. Dezember 1943 wird Maria Husemann im Büro der Caritas, dem heutigen Raum 7.19 der St.-Anna-Schule Wuppertal, von der Gestapo abgeführt in das Polizeigefängnis Wuppertal-Barmen.

In den Klauen der Gestapo

In strengster Einzelhaft im Gestapo-Gefängnis Wuppertal vom 22.12.1943 bis 22.8.1944:

„Fast täglich wurde ich in der ersten Zeit endlos verhört und dabei oft geschlagen. Einmal war ich nicht mehr fähig, allein in die Zelle zu gehen. Zwei Gestapoleute mussten mich hineintragen. Ein anderes Mal wurde ich derart zerschlagen, dass ich bewusstlos war und ohnmächtig auf meine Pritsche zurückgeschleift wurde. Diese Tortur tat mir Kriminalrat Hufenstuhl persönlich an. In brennenden Schmerzen wälzte ich mich nach solchen Misshandlungen die langen, grauenvollen Nachtstunden auf meinem Lager. Später kam ich auf eine viel kleinere Zelle im vierten Stockwerk des Hauses. Dort wurde das Schweigen und die Einsamkeit noch lastender. Unsäglich habe ich lange acht Monate hindurch unter der völligen Untätigkeit gelitten. Ich bat um Arbeit, man gab mir keine. Ich bat um Bücher oder Handarbeit oder irgendeine Außenarbeit. Nichts wurde genehmigt. Mir blieb allein das Gebet. Wenn ich nicht eine gläubige katholische Frau gewesen wäre, hätten mich diese Monate zum Wahnsinn gebracht oder gar zum Selbstmord.“ (S. 12)

„Trotz aller Quälereien, die ich über mich ergehen lassen musste, sagte ich mir immer wieder aufs neue: „Du willst diesen Kerlen keine Schwäche zeigen, wirst nicht zum Verräter, nennst keine Namen, antwortest möglichst wenig oder verweigerst die Aussage.“ Ich flehte wie nie in meinem Leben zu Gott dem Herrn, er möge mir Kraft geben, diesen Entschluss durchzuführen. Mein Gebet fand Erhörung. Ich blieb in den Verhören standhaft.“ (S.13)

1944 Deportation in das Konzentrationslager Ravensbrück, Überführung nach Graslitz, einem Außenlager des KZ Flossenbürg.

Im Frauen-KZ Ravensbrück

„ ... Im Lager Ravensbrück wurden im August und September 1944 ständig Arbeitstransporte zusammengestellt. Die KZ-Häftlinge kamen als ‚nummerierte menschliche Produktionsmittel’ in Rüstungsbetriebe, die meist in die besetzten Gebiete ausgelagert waren. Dort wurde ihre Arbeitskraft bis zum äußersten ausgebeutet. Ich hatte nach meinem Eintreffen in Ravensbrück eine achtmonatige Schutzhaft in der Einzelzelle hinter mir. “(S. 20) „Mir war von Anfang an klar, dass ich in der Gaskammer und im Krematorium enden würde, wenn ich nicht bald in ein Arbeitskommando käme. Mein ganzes Sinne und Trachten ging dahin, mich mit der Leiterin der Arbeitsvermittlung, einer Bibelforscherin (Anm.: heute nennen sich die Bibelforscher „Zeugen Jehovas“), in Verbindung zu setzen.“ (S.18).... Sie hat mir tatsächlich zu einem Arbeitskommando verholfen.... Dafür bin ich ihr heute noch sehr dankbar.“ (S.18/19)

1945 Maria Husemann und weitere Häftlinge treten den Todesmarsch an. Dieser im Nachhinein von den Opfern geprägte Begriff bezeichnet die KZ-Räumungsaktionen frontnaher Konzentrationslager der SS-Wachkommandos in der Endphase des Zweiten Weltkrieges. Viele marschunfähige Häftlinge wurden dabei von der SS ermordet.

Auf dem Todesmarsch

„Am 17.4.1945 waren entweder die Russen oder Amerikaner nahe bei Graslitz. Die Lagerleitung erhielt Befehl, das Lager aufzulösen und mit den Häftlingen, etwa 700 Personen, „auf Transport“ zu gehen.“ (S 23) „In Wirklichkeit aber bestand der Auftrag der Wachmannschaft darin, leere Waggons zu suchen, in die wir mit dem Ziel Lager Dachau eingeschlossen werden sollten. Im Sudetengau hatten aber die Kampfflieger alle Lokomotiven, Waggons und fast das gesamte Eisenbahngelände zerbombt.“ (S.24) Von Tag zu Tag schrumpfte unser trauriger Zug zusammen. Wer nicht mehr konnte oder zusammenbrach, dem schlug man den Gewehrkolben über den Kopf und zerrte ihn an den Straßenrand. In dieser Art zogen noch mehrere andere Transporte in unserer Gegend umher, ein Bild von Elend und Grausen, wie man es sich kaum vorstellen kann.“ (S. 25)

„Die letzte Nacht des Todesmarsches, die ich mit dem kleinen Rest unserer Gruppe verbrachte, lagen wir in einer Scheune in Breitenstein, einige Kilometer von Luditz entfernt. Mehr stehend als liegend hatten wir die Nacht im Stroh verbracht. Zwei meiner Kameradinnen - Juden - waren in der Nacht derart von Durchfall heimgesucht, dass sie unfähig waren aufzustehen. Ich meldete das der Aufseherin. Sie sagte: ,Dann müssen sie eben hier bleiben.’ Die anderen traten schon zum Weitermarsch an. Auf mein wiederholtes Bitten, den armen Frauen doch zu helfen, kam keine Reaktion. Da erbot ich mich, bei ihnen zu bleiben und mich um sie zu kümmern. Nach langem Hin und Her wurde ich zum Kommandoführer befohlen. Nach einigen Anschnauzern bekam ich dann für uns drei Frauen den Entlassungsschein.“ (S. 27)

1945 Zurück in Wuppertal-Elberfeld. Sobald es ihr die gesundheitlichen Folgen ihrer Haft erlauben, beteiligt sie sich an der Arbeit der Caritas, Zuwendungen aus dem Ausland an Bedürftige unabhängig ihrer Konfession zu verteilen. Maria Husemann ist Anlaufstelle für Flüchtlinge und Juden, die nach Wuppertal zurückkehren.

„...Bei einem Treffen der politischen Häftlinge von Dachau im Jahre 1946 wurde mir durch den früheren Oberpfleger im Revier Dachau, Heinrich Stöhr, ... wörtlich gesagt: ‚Fräulein Husemann, wir alle haben Ihnen unsagbar viel zu verdanken. Durch Ihre Aktionen haben Sie Hunderten von Menschen das Leben gerettet.‘“ (S.9)

1950 Sie wird Geschäftsführerin des Bundes der Naziverfolgten (BVN).

1951 Sie tritt im Alter von 59 Jahren gesundheitsbedingt in den Ruhestand.

1959 Übernahme der Geschäftsführung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

1970 Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

1975 Maria Husemann stirbt am 12. Dezember im Alter von 83 Jahren.

Dorotheenstrasse mit der Schule hinten links
Foto: Archiv der St.-Anna-Schule
Eingang zum Caritasverband Königstraße
Foto: Archiv der St.-Anna-Schule

Maria Husemann vervielfältigt Carls Berichte über die unmenschlichen Zustände im Konzentrationslager Dachau, insbesondere über die qualvollen medizinischen Experimente an Häftlingen. „Malariaversuche an über 1000 Menschen (..) Temperaturversuche, bei denen Hunderte starben“ (S. 9). Sie leitet diese an deutsche Bischöfe weiter und verteilt sie im Caritasbüro. Sie mahnt Bekannte und Angehörige von Inhaftierten, wie dringend das Überleben der Inhaftierten von ihrer Unterstützung abhinge. Damit setzt Maria Husemann die lebensrettende Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln Unzähliger in Gang.

„...Weil ich selber durch alle vorgenannten Aktionen sehr stark unter Beobachtung der Gestapo stand, wagte ich es nicht, die inzwischen zahlreich gewordenen Briefe im Caritasbüro oder meiner Privatwohnung zu verstecken. Ich bat Bekannte von mir, die Originale zu übernehmen und sie dann an einem mir unbekannten Ort zu deponieren. So konnte ich jederzeit bei Vernehmungen behaupten, dass ich keine Aufzeichnungen besitze. Am 19.11.1943 bat die Bekannte von mir, die Originale wieder an mich zu nehmen….Wir verabredeten, dass diese am Samstag vor dem ersten Adventssonntag 1943 mir persönlich im Krankenhaus Marienheim ausgehändigt werden sollen. Nie würde ich diese Verabredung getroffen haben, hätte ich auch nur im entferntesten geahnt, welch eine Kette verhängnisvoller Ereignisse damit begann.

Meine Bekannte konnte den Termin nicht persönlich einhalten. Ohne mir Nachricht zu geben, händigte sie dem Chauffeur des Marienheims die Zigarrenkiste mit den Dokumenten aus und beauftragte ihn, sie Schwester Gertraud persönlich zu übergeben. Durch sein leichtsinniges Verhalten - er ließ vor Betreten des Marienheims die Kiste auf seinem Fahrersitz liegen – löste er jene Ereignisse aus, die für mich sehr bittere Folgen hatten...Ein vorübergehender Arbeiter glaubte, eine Kiste mit Zigarren liege offen auf dem Fahrersitz. Er stahl sie und ging damit eiligst in die nahe gelegene Grünanlage „Auf der Hardt“. In seiner Enttäuschung, nur Briefe darin zu finden, warf er die im echten Sinne „heiße Ware“ einfach weg. Später sammelten Passanten die Briefe auf, nahmen sie mit in ihren Arbeitsbetrieb an der Straßburger Straße. Dort gaben sie die Briefe einem zur Pflichtarbeit eingezogenen Arbeiter zum Lesen, der früher bei der „Bergischen Tageszeitung“ tätig war und Herrn Direktor Carls und mich gut kannte. Er begriff wohl die Wichtigkeit der Dokumente, hatte aber nicht den Mut, mich zu verständigen oder die Briefe wenigstens verschwinden zu lassen. Er ließ sie in seinem Schreibtisch drei Wochen liegen. Dann übergab er sie seinem Betriebsleiter, der sie etwa am 20. Dezember dem NS-Kreisleiter Strassweg aushändigte.

Die Reihenfolge dieser Ereignisse habe ich erst viel später, zum Teil erst nach meiner Befreiung aus der Haft, Stück für Stück festgestellt. Am festgesetzten Termin der Übergabe waren die Dokumente nicht da und trotz allen Suchens und Fragens nicht aufzufinden. Wer nicht in ähnlicher Lage gewesen ist, kann sich meine Enttäuschung, meine Sorge und meine große Angst kaum vorstellen, als der Verlust in den nächsten Tagen zur Gewissheit wurde. In wessen Hände sind die Berichte geraten? Welche Folgen werden daraus für Herrn Direktor Carls, den Caritasverband und für mich persönlich entstehen? Wir haben beratschlagt noch und noch. Ich habe gebetet und wieder gebetet. Dann entschloss ich mich zum rückhaltlosen Vertrauen auf Gottes Vorsehung. An eine Flucht vor der Gestapo dachte ich nicht. Ich wollte mich auch nicht verbergen wie eine Verbrecherin. Mutig und gottvertrauend wollte ich dem Kommenden entgegensehen.“ (S.10/11)


Nachdem Maria Husemann dem Todesmarsch entrinnen konnte, brachte sie ein ortsansässiger Bauer, vermutlich jener, in dessen Scheune die Frauen übernachtet hatten, in das Notkrankenhaus in Luditz. Als Maria Husemann erfuhr, dass tschechische Truppen herannahten, befürchtete sie, erneut in Gefangenschaft zu geraten und trat allein zu Fuß den Heimweg an. Von Luditz schlug sie die Route nach Reichenberg ein, weiter über Dresden, Leipzig, Chemnitz.

„Es gelang mir noch in das nahegelegene Glachau zu kommen. Dann aber brach ich total erschöpft auf der Straße zusammen. Kein Wunder nach einem Marsch von 700 km, gehetzt , kaum Schlaf, nur wenig Nahrung ..“ (S.28)

Eine Eisenbahnerfamilie brachten sie in den Bahnhof und pflegten sie einige Tage.

„Bald fand ich Gelegenheit, in einem Güterwagen, …, von Glachau bis kurz vor Hamm in Westfalen zu fahren.“ (S.28)

Von dort machte sie sich wieder zu Fuß auf in Richtung Wuppertal. Nach 50 Kilometern fand sie eine Mitfahrmöglichkeit und erreichte am 5. Juni 1945 ihre Heimat.

„ ... Ehe ich den Bericht über eine Leidenszeit von 17 Monaten beschließe, möchte ich Gott danken, dass er mir diese Zeit der Heimsuchung geschenkt hat. (...) Gott gab mir das Verstehen für fremdes Leid, das nur aus eigenem Leidenserlebnis erwachsen kann. (...) Seither kenne ich keine schönere Aufgabe, als Gott täglich zu danken ...“

Maria Husemann

Anton-Roesen-Preis 2009 für die Geschichts-AG der St.-Anna-Schule

Das Erzbischöfliche St.-Anna-Schule in Wuppertal ist für ihr Projekt „Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus“ mit dem Anton-Roesen-Preis 2009 ausgezeichnet worden. Unter Leitung der Geschichtslehrer Norbert Häming und Dr. Christoph Sänger sowie wissenschaftlicher Begleitung der Wuppertaler Historikerin Elke Brychta, trug die Geschichts-Arbeitsgruppe der Jahrgangsstufe 11 im Jahr 2009 umfassend recherchiertes historisches Material zusammen, befragte Zeitzeugen, besuchte die KZ Gedenkstätten Flossenbürg/Oberpfalz und Dachau. Im personellen Fokus stand der mutige Widerstand von Maria Husemann und Hans Carls. Die Ergebnisse der Projektarbeit wurden einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und fanden reges Interesse und Anerkennung.

Der damalige Erzbischof Joachim Kardinal Meisner überreichte den Anton-Roesen-Preis. Er wird vom Diözesanrat für herausragende Leistungen katholischer Christen im Bereich von kirchlich-sozialem und gesellschaftlichem Engagement verliehen.
Diese Tafel wurde 1993 am heutigen Unterrichsraum 7.19 der St.-Anna-Schule angebracht.
Foto: Archiv der St.-Anna-Schule

In Würdigung ihres Mutes, Stärke und Glaubenstiefe entstand diese Momente-weitergeben-Seite für Maria Husemann auf Initiative der St.-Anna-Schule Wuppertal und dem Caritasverband, unterstützt mit Fördermitteln des Stiftungszentrums im Erzbistum Köln.